Forschendes Lernen – Schritt 1

Methode 1: Flower Power

Methode 2: Alle gleich, alle verschieden

Aus der Broschüre zu intersektionaler Pädagogik von I-Päd (S. 14-15), Download unter: https://i-paed-berlin.de/project/die-broschuere-zu-intersektionaler-paedagogik

Mögliche Fragestellungen für den 1. Schritt der Methode:

  • Wie heißt die Person auf dem Bild?
  • Wie und wo ist die Person aufgewachsen?
  • Was macht die Person in ihrem Alltag?
  • Was macht die Person in zehn Jahren?
  • Könnte die Person in unserer Schule/in unserem Verein sein?

Beispiele für Forschungsfragen

Metafragen

Was heißt eigentlich „behindert“/“beeinträchtigt“? Wer beeinträchtigt wen?

Welche Bedürfnisse haben Menschen (in Bezug auf politische Beteiligung, Mobilität, Einkaufen, Sport…) und sind diese Bedürfnisse verschieden?

  • Welche physiologischen Bedürfnisse haben wir?
  • Welche sozialen Bedürfnisse haben wir?
  • Welche mentalen Bedürfnisse haben wir?

Wessen Bedürfnisse werden bei Entscheidungs-/Planungsprozessen einbezogen?

Wie können verschiedene Menschen und ihre Bedürfnisse stärker einbezogen werden?

Praktische (Anschluss-)Fragen

Wie können wir in unserer Schule/unserem Verein verschiedene Menschen und ihre Bedürfnisse stärker einbeziehen?

Welche weiteren Forderungen gibt es von Menschen mit Behinderung (in Bezug auf politische Beteiligung, Mobilität, Einkaufen, Sport…), die (noch) nicht umgesetzt werden?

Was können wir konkret umsetzen, um unsere Schule/unseren Verein inklusiver zu machen?

Welche Veränderungen können wir auch über unsere Schule/unseren Verein hinaus anstoßen?

Material Forschendes Lernen – Texte mit Audiodateien

Darum sind 85.000 Menschen mit Behinderung bei der Bundestagswahl Erstwählende

Ein Text des Mitteldeutschen Rundfunks Sachsen-Anhalt vom 21.09.2021 zur politischen Beteiligung von Menschen mit Behinderung

All inclusive bei der Bundestagswahl? Menschen mit Behinderung, die rechtlich betreut werden, dürfen dieses Jahr am 26. September erstmals an einer Bundestagswahl teilnehmen. Noch bis 2019 waren 85.000 Menschen vom Wählen ausgeschlossen. Die Sendung #MDRklärt zeigt, warum das so war und ob nun wirklich ein inklusives Wahlrecht besteht.

85.000 Menschen mit Behinderung, die rechtlich betreut werden, waren noch bis 2019 von den Bundestagswahlen ausgeschlossen. Darunter waren gut 2.500 Sachsen-Anhaltiner*innen und Sachsen-Anhaltiner.

Jeder Mensch in Deutschland hat das Recht zu wählen. Das steht eindeutig im Grundgesetz. Schon in der Schule lernen alle Schülerinnen und Schüler, dass eine Wahl unmittelbar, frei, gleich, geheim und vor allem allgemein ist.

Allgemein bedeutet, dass alle Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland das Stimmrecht besitzen. Es ist dann völlig egal, welches Geschlecht man hat, wie hoch das Einkommen ist, welcher Beruf ausgeübt wird oder welche politische Überzeugung jemand hat. Es wird lediglich vorausgesetzt, dass ein Wähler oder eine Wählerin das 18. Lebensjahr vollendet hat.

Trotz des Artikels 38 im Grundgesetz sind Menschen mit Behinderung bis 2019 bewusst von den Wahlen ausgeschlossen worden. Diese sogenannten Wahlrechtsausschlüsse waren im Bundeswahlgesetz festgeschrieben. Darin waren Menschen mit Behinderung ausgeschlossen, die in allen Angelegenheiten rechtlich betreut werden.

Diese Ausschlüsse wurden als diskriminierend wahrgenommen. Verbände wie beispielsweise die Lebenshilfe haben jahrelang darum gekämpft, den Ausschluss zu beenden.

Denn das Problem des Gesetzes bestehe in seiner Zufälligkeit, sagte ein Sprecher des Bundesverfassungsgerichts der Tagesschau im Jahr 2019. Denn betroffene Personen, die keinen Betreuer bestellen müssen, weil sie von ihren Familien versorgt werden konnten, waren nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen. Andere, die auf Hilfe durch Betreuer angewiesen seien, dagegen schon, so der Sprecher weiter.

Vor allem hätten die Wahlrechtsausschlüsse in der Bundesrepublik in der Form gar nicht existieren dürfen. Denn die UN-Behindertenrechtskonvention gilt seit 2009 auch in Deutschland. Sie garantiert Menschen mit Behinderung eine Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben.

Erst 2019 erklärte das Bundesverfassungsgericht nach Druck von außen zwei Paragraphen des Artikels 13 des Bundeswahlgesetzes für verfassungswidrig. Die betroffenen Paragraphen wurden gestrichen. Das bedeutet: Die Bundestagswahl am 26. September 2021 ist die erste, an der wirklich alle Menschen teilnehmen dürfen.

Gibt es jetzt ein inklusives Wahlrecht?

Bei der Bundestagswahl werden zumindest keine Menschen durch Zufälligkeiten ausgeschlossen. Somit ist theoretisch ein inklusives Wahlrecht geschaffen. Doch Inklusion schließt noch viel mehr ein.

Der Behindertenbeauftragte Sachsen-Anhalts, Christian Walbrach, sagte MDR SACHSEN-ANHALT, dass vielerorts eine Barrierefreiheit nicht gegeben sei, um wirklich Inklusion zu betreiben. Laut Walbrach sind nicht alle Wahllokale in Sachsen-Anhalt barrierefrei, sodass Menschen auf Alternativen zurückgreifen müssen.

Behindertenbeauftragten Sachsen-Anhalts Christian Walbrach

Ein weiteres Problem sei auch die barrierefreie Gewährleistung von Wahlwerbung. Parteien, die sich zur Wahl stellten, müssten hier sensibler und bedarfsgerechter agieren, sagt Walbrach.

Nicht immer würden mediale Werbespots untertitelt und mit Gebärdensprache ausgestattet und es existierten selten Werbe- und Informationsmaterialien in leichter Sprache, so der Behindertenbeauftragte weiter.

Walbrach wünscht sich, dass sich noch mehr Menschen mit Behinderungen ihrem passiven und aktiven Wahlrecht mutig und selbstbewusst zuwenden.

„Wir brauchen alle Menschen, mit ihrer individuellen Leistung, ihrem Gestaltungswillen und ihrer Zuversicht. Niemand ist verzichtbar.“

Quelle: Darum sind 85.000 Menschen mit Behinderung bei der Bundestagswahl Erstwählende

Weitere Links zum Thema politische Beteiligung:

Ticketkauf in Zügen

Ein Text zur Mobilität von Menschen mit Behinderungen auf der Website des Vereins Netzwerk Artikel 3 vom 10.01.2022

Ticketkauf in Zügen

Berlin: Alexander Ahrens von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) lässt nicht locker, wenn es darum geht, Benachteiligungen behinderter Menschen bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu benennen und beizutragen, diese abzubauen. Als Rollstuhlnutzer weiß er in vielerlei Hinsicht, wo der Schuh drückt und engagiert sich daher in vielen Gremien, u.a. auch bei der Deutschen Bahn.

Als die Pläne zur Einstellung der Kaufmöglichkeiten von Tickets in Zügen der Deutschen Bahn bekannt wurden, setzte er sich u.a. dafür ein, dass behinderte Menschen weiterhin die Möglichkeit behalten, die Tickets in den Zügen lösen zu können. Damit war er erfolgreich, wie eine Antwort der Deutschen Bahn zeigt. Dies ist für das NETZWERK ARTIKEL 3 eine gute Nachricht zur Inklusion. Denn das Beispiel zeigt, wie wichtig Partizipation und die Interessenvertretung behinderter Menschen ist.

Auf Nachfrage von Alexander Ahrens bei der Deutschen Bahn hat er folgende Schilderung der Entwicklung bekommen: „Bereits im April hat die Deutsche Bahn (DB) die Buchbarkeit von Fahrkarten im Zug verbessert. Seitdem können Reisende im Fernverkehr ihr Ticket im Zug noch bis 10 Minuten nach Abfahrt digital in der App DB Navigator oder auf bahn.de buchen. Das war davor so nicht möglich. Damit hat sich das kurzfristige Kaufen eines Tickets im Zug deutlich vereinfacht. Fahrgäste müssen das Zugbegleitpersonal nicht mehr aufsuchen und sparen den Bordzuschlag in Höhe von 17 Euro. Außerdem trägt die digitale Buchung dazu bei, die Kontakte in den Zügen zu reduzieren. Der personenbediente Bordverkauf ist seit Jahren rückläufig und wurde zuletzt von weniger als einem Prozent aller Kunden genutzt. Aus diesen Gründen wird der Ticketverkauf durch die Zugbegleiter:innen zum 1. Januar 2022 eingestellt“, berichtet Angelika Fehrer von der Kontaktstelle für Behindertenangelegenheiten der DB Vertrieb GmbH.

Gerade für schwerbehinderte Menschen ist es zuweilen schwierig, die entsprechenden Internetangebote zum Kauf des Tickets innerhalb der gewährten 10 Minuten zu nutzen. Die nun gefundene Regelung ist hilfreich: „Schwerbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent, die bei Antritt ihrer Reise nicht mit einer Fahrkarte versehen sind, erhalten jedoch weiterhin die Möglichkeit gegen Vorlage des Schwerbehindertenausweises ihre Fahrkarte im Zug zu kaufen“, erklärte Angelika Fehrer von der Kontaktstelle.

Quelle: https://www.nw3.de/index.php/aktuelle-gute-nachrichten-zur-inklusion/305-erfolg-in-sachen-ticketverkauf-in-zuegen

Weitere Links zum Thema Mobilität:

Stille Stunden im Supermarkt

Ein Text zum Thema Einkaufen für Menschen mit Autismus von der Website der Tagesschau vom 22.12.2021

Einkaufen kann stressig sein. Erst recht für Autisten, auf die Licht, Musik und Durchsagen anders wirken. Supermärkte in der Schweiz antworten darauf mit einer „Stillen Stunde“.

Dienstagnachmittag vor Heiligabend, es ist kurz nach 15 Uhr. Zwei Verkäufer ziehen in einem Zürcher Supermarkt eine gelbe Warnweste an mit dem Aufdruck: „Stille Stunde“. Das bedeutet: keine Musik, keine Ladendurchsagen, weniger Licht.

Stille Stunden im Supermarkt

Zwei Bildschirme machen Werbung für den Weihnachtsbraten. Doch jetzt ist Schwarzbild angesagt: Die Verkäufer ziehen für die nächsten zwei Stunden den Stecker. Sie stellen den Beep-Ton beim Scannen an der Kasse leiser. Wo es geht, wird das Licht ausgemacht oder gedimmt. Während der „Stillen Stunde“ wird keine Ware auspackt und nicht geputzt. Es soll so ruhig zugehen wie irgendwie möglich.

Was das Einkaufen anstrengend machen kann

Zweimal in der Woche bieten zwölf Filialen der Supermarktkette SPAR „Stille Stunden“ zum stressfreien Einkaufen an. Immer dienstags von 15 bis 17 Uhr und donnerstags von 18:30 bis 20 Uhr geht es ruhiger zu als sonst. Sogar jetzt in der Vorweihnachtszeit. Ständiges Musikgedudel, schrille Lautsprecherdurchsagen und grelle Lichteffekte können beim Einkaufen ganz schön nerven.

Der Verein „Autismus deutsche Schweiz“ (ads) hatte die Geschäftsleitung von SPAR für dieses Pilotprojekt gewinnen können. Nadja Eich von „ads“ beschreibt die besondere Wahrnehmung von Autisten so: „Sie nehmen die Welt anders wahr. Sie haben oft Mühe, Reize wie Lärm, Licht oder Gerüche einzuordnen und zu verarbeiten. Sind sie von zu vielen Reizen umgeben, so kann es zu einer Reizüberflutung und damit zu einem Meltdown kommen, einem unkontrollierten Gefühlsausbruch, oder sogar zu einem Shutdown.“

Stille Stunen im Supermarkt 2

Die vielen Reize in den gängigen Einkaufszeiten, welche anderen Kunden vielleicht gar nicht mehr auffallen, können bei autistischen Menschen am Ende dazu führen, dass es für sie unmöglich wird, selbstständig einkaufen zu gehen.

In Neuseeland erprobt

Die Idee für die „Stille Stunde“ stammt ursprünglich aus Neuseeland, von einem Mitarbeiter der „Countdown“-Handelskette, dessen Sohn unter Autismus leidet. Der Junge schrie immer wieder beim Einkaufen, da ihm die Reizüberflutung im Supermarkt sehr zu schaffen machte. Inzwischen bieten 180 Filialen der neuseeländischen Handelskette jeden Mittwoch eine „Stille Stunde“ an.

Oft tragen die Betroffenen Kopfhörer, um sich vor den vielen Geräuschen zu schützen. Damit sind sie aber auch von der Außenwelt abgeschnitten. Jetzt, erzählte ein Betroffener Nadja Eich von „ads“, brauche er keine Kopfhörer. Er habe sogar die Zeit und Ruhe, neue Produkte anzuschauen.

Für Betroffene eine Erleichterung

Andere Handelsketten wollen sich dem Modell laut „ads“ bislang nicht anschließen. Nadja Eich zieht dennoch schon jetzt eine positive Bilanz: „Manche Eltern können nun stressfreier mit ihrem autistischen Kind einkaufen gehen, und wir wissen von erwachsenen Betroffenen, die zum ersten Mal ohne Begleitung einkaufen können.“

Auch Menschen, die nicht von Autismus betroffen sind, finden die „Stillen Stunden“ angenehm. Wobei das wenige Licht gewöhnungsbedürftig sei: „Manche haben uns gefragt: ‚Habt ihr einen Stromausfall?'“, sagt Hansruedi Schnellmann. Er betreibt 14 SPAR-Märkte in der Schweiz. Wie sieht die geschäftliche Bilanz aus? „Es ist ein Nullsummenspiel. Wir machen dadurch weder Gewinn noch Verlust. Aber es ist ein Signal an die Gesellschaft: Jede und jeder kann etwas tun, damit sich Menschen wohler fühlen.“

 

Quelle: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/schweiz-stille-stunde-101.html

Weitere Links zum Thema Einkaufen:

Kakao statt Krakauer

Ein leicht gekürzter Text über Barrierefreiheit bei Sportgroßveranstaltungen für Gehörlose aus dem Online-Magazin Die Neue Norm, dem Magazin für Vielfalt und Disability Mainstreaming vom 08.12.2021

Kakao statt Krakauer

Wie barrierefrei ist der deutsche Fußball? Thomas Mitterhuber von der Deutschen Gehörlosenzeitung sprach mit Holger Jegminat vom Dachverband gehörloser Fanclubs über wachsende Gehörlosenblocks, mitreißende Dolmetscher und die Pläne zur EM 2024 in Deutschland.

In diesem Interview geht es um die Frage: Wie erleben gehörlose Menschen Fußball im Stadion? Sie brauchen Dolmetscher für Gebärdensprache. Es geht auch um die Frage: Wer bezahlt die Dolmetschung? Außerdem gibt es Informationen, welcher Verein in Deutschland sich in diesem Bereich engagiert.

In der tauben Fußballfanszene Deutschlands ist Holger Jegminat eine bekannte Größe. Von 2014 bis 2018 war er der deutschlandweit erste gehörlose Behindertenbeauftragte eines Bundesliga-Vereins – nämlich des Hamburger SV. Den dazugehörigen Gehörlosen-Fanclub gründete er mit, später auch den Dachverband deutscher DEAF Fanclubs (DDDF). 

Kakao statt Krakauer

Wofür setzt ihr euch ein?

Unser Ziel ist gleichberechtigte Teilhabe im Stadion.

Was bedeutet das konkret?

Es sind viele Aspekte zu berücksichtigen – vom Kartenkauf über Einlasskontrolle bis hin zur Teilhabe am Stadiongeschehen. Um Tickets kaufen zu können, muss es alternative Möglichkeiten neben der telefonischen Bestellung geben, zum Beispiel online oder per E-Mail.
Das Stadionpersonal soll im Umgang und in der Kommunikation mit Gehörlosen geschult sein, dazu gehören beispielsweise die Eintrittskontrolle oder der Verkauf von Speisen und Getränken. Und wir fordern ermäßigte Kartenpreise, solange es keine vollständige gleichberechtigte Teilhabe im Stadion gibt, und sogenannte „Gehörlosenblocks“ in den Stadien: reservierte Sitzplätze, wo gehörlose Zuschauer zusammensitzen können.

Kakao statt Krakauer 3Kakao statt Krakauer 4

 

Welche Möglichkeiten gibt es eigentlich, um gehörlose Stadionbesucher während eines Fußballspiels einzubeziehen?

Am besten geht das mit Gebärdensprachdolmetschern vor dem Gehörlosenblock. Auch die große Anzeigentafel könnte genutzt werden, um Dolmetscher oder Untertitel einzublenden. Das hat es meines Wissens bislang aber noch nicht gegeben – mit Ausnahme des RB Leipzig. In Dortmund soll es ab der nächsten Saison ebenfalls umgesetzt werden.

2013 gab die DFL Empfehlungen für Barrierefreiheit in Stadien heraus. Genügen sie in deinen Augen?

Wir sind dankbar, dass die DFL uns damals mit ins Boot geholt hatte, um unsere Expertise mit in die Empfehlungen einfließen zu lassen. Diese Empfehlungen haben jedenfalls seitdem geholfen, dass mehr und mehr Vereine den Gehörlosenblock einführen und Dolmetscher einsetzen. Da haben wir es schwarz auf weiß. Das Problem ist allerdings oft: Gibt es zu einem Bundesligaverein keinen Gehörlosen-Fanclub, fehlt auch der Gehörlosenblock. Einzige Ausnahme ist der VfB Stuttgart. Deshalb wünschen wir uns, dass sich neue Gehörlosen-Fanclubs gründen. Dann hat der jeweilige Verein auch einen direkten Ansprechpartner vor Ort und der Bedarf wird auch sichtbarer.

Zu den Empfehlungen gehören reservierte Plätze für Gehörlose (fünf Sitze pro 1.000 Plätze). Dazu genauso viele Plätze für Begleitpersonen. Warum ist das wichtig?

Für Gehörlose ist das nicht so relevant. Wohl aber für taubblinde und sehbehinderte Zuschauer. Sie benötigen auf jeden Fall eine Person, die sie begleitet und bei Bedarf auch das Spiel beschreibt.
Wir haben bei der DDDF einen taubblinden Beisitzer und versuchen, nun auch die Bedürfnisse taubblinder Fans in die Empfehlungen einzubringen. Diese brauchen Sitzplätze in der Mitte des Spielfeldes, etwa auf halber Höhe. Sonst haben sie Schwierigkeiten, dem Spiel zu folgen. Ideal wäre es daher, den Gehörlosenblock dorthin zu verlegen. Dann hätten wir und vor allem sehbehinderte Fans einen optimalen Blick.

Und hat es Fortschritte in den letzten Jahren in der Bundesliga gegeben?

Große Fortschritte. Zum einen gibt es immer mehr Gehörlosenblocks – inzwischen in etwa jedem zweiten Stadion der 1. Bundesliga. So einen Block gibt es seit zwei Jahren auch bei der deutschen Nationalmannschaft. Bei jedem Heimspiel der DFB-Elf wird auch ein Gebärdensprachdolmetscher eingesetzt. Dafür haben wir uns eingesetzt. Einige Bundesligavereine machen das auch (siehe dazu die Tabelle). Es geht also vorwärts, Schritt für Schritt.
Und vereinzelte Vereine fangen an, Videos auf ihren Webseiten und den sozialen Medien zu untertiteln und mit Dolmetscher-Einblendungen zu versehen. Ganz vorne ist hier der BVB. Aber im Medienbereich hinken wir insgesamt noch weit hinterher. Immer mehr Vereine bieten Podcasts (= Audio-Beiträge im Internet) an, damit können wir nichts anfangen. Manchmal werden Transkripte angeboten, aber oft mit Zeitverzögerung. Vorbildlich ist hier die BundesBehindertenfan-Arbeitsgemeinschaft (BBAG), die auch Podcasts anbietet, aber zeitgleich mit Untertiteln.
Die Leichte Sprache ist dagegen auf dem Vormarsch, obwohl sie eine relativ junge Forderung ist. Oft glaubt man, sie sei auch für Gehörlose geeignet. Aber das stimmt nicht für jeden. Wir bestehen deshalb weiterhin auf Deutscher Gebärdensprache (DGS).

Welche Bundesligavereine Gehörlosenblocks und Gebärdensprachdolmetschung anbieten:

 

Erste Bundesliga, Grafik: DGZ

Erste Bundesliga, Grafik: DGZ

Zweite Bundesliga, Grafik: DGZ

Zweite Bundesliga, Grafik: DGZ

Welche Aufgabe hat ein Dolmetscher im Stadion?

Als wir beim HSV 2017 anfingen, Dolmetscher einzusetzen, gab es für mich eine überraschende Erfahrung: Der Dolmetscher übersetzte die Ankündigungen des Stadionsprechers vor dem Spiel und das Lied „Hamburg, meine Perle“. Aber sobald der Ball rollte, kam kaum noch etwas von ihm. Ich wunderte mich und forderte ihn auf, weiterzumachen. Er entgegnete, der Stadionsprecher sage aktuell gar nichts. Ich war die Kommentation aus dem Fernseher gewohnt und begriff, dass es im Stadion anders läuft. Da sagen die Sprecher meist nur wichtige Infos, Tore und Spielerwechsel an.
Was also soll der Dolmetscher da machen? Wir sind inzwischen dazu übergegangen, dass es seine Hauptaufgabe ist, den gehörlosen Fans die Stimmung rüberzubringen. Er soll die Zurufe und die Gesänge der Fans übersetzen. So kann der gehörlose Fan die Stadionatmosphäre dann auch miterleben.

Viele Dolmetscher arbeiten im Stadion ehrenamtlich. Warum?

Der DDDF bekommt regelmäßig Anfragen von Vereinen, ob sie die Dolmetscher selbst bezahlen müssen. Wir antworten immer, dass wir eine Bezahlung ablehnen. Das liegt an den sogenannten Blindenreportern. Ehrenamtlich beschreiben sie die Fußballspiele für blinde und sehbehinderte Fußballfans. Unsere Position ist: Solange die Blindenreporter kein Honorar bekommen, sollte das auch für Dolmetscher gelten. Sonst passt das nicht zusammen.
Deshalb verlangen wir auch keinen bestimmten Berufsabschluss. Bei den HSV-Heimspielen zum Beispiel wechseln sich drei Personen ab – zwei von ihnen sind Codas ohne Dolmetscherausbildung. Und es funktioniert.

Welche Bundesligavereine sind aus deiner Sicht vorbildlich?

Da fallen mir zwei ein: Borussia Dortmund und der RB Leipzig. Bei jedem Heimspiel stellen sie Gebärdensprachdolmetscher zur Verfügung. Vorne am Gehörlosenblock, mit gutem Blick auf das Spielfeld. Der BVB bezahlt als einziger Bundesligaverein die Dolmetscher selbst. Unser Vizepräsident Florian Hansing ist als Projektmanager beim Fanprojekt Dortmund angestellt und das macht sich natürlich bemerkbar.
Zum Beispiel können sich an spielfreien Tagen auch taube Besucher per Smartphone-Guide durch das BVB-Stadion führen lassen: Seit 2020 hat diese App eine DGS-Übersetzung. Das ist bundesweit einmalig. Und dort arbeitet in der Nähe des Gehörlosenblocks eine gehörlose Mitarbeiterin in einer Imbissbude. So gibt es keine Missverständnisse in der Kommunikation. Zuvor hatte ich einmal eine Krakauer (also eine Bratwurst) bestellt, bekam jedoch einen Kakao. *lacht*

Kakao statt Krakauer 6

Braucht es auch Dolmetschereinblendungen bei Fernsehübertragungen?

Bloß nicht während des Spiels! Die würden nur ablenken. Aber bei Anmoderationen, Halbzeitanalysen und Interviews nach dem Spiel würden sie sich eignen.

Die EM 2024 findet in Deutschland statt. Was ist dazu geplant?

Einiges. Zusammen mit der BundesBehindertenfan-AG und KickIn!, der Beratungsstelle für Inklusion im Fußball, stehen wir seit einem Jahr auch schon mit dem DFB in Kontakt. Dort sind wir Ansprechpartner für gehörlose und taubblinde Fans. Bei der DDDF haben wir im vergangenen Dezember eine Arbeitsgruppe für die EM gegründet. Diese wird dann ein Konzept ausarbeiten und gemeinsam mit den Kooperationspartnern dem DFB vorlegen. Wir wünschen uns Gehörlosenblocks, Dolmetscher für International Sign und Untertitel auf der Anzeigentafel. Außerdem soll es in jedem EM-Stadion eine gebärdensprachkompetente Anlaufstelle für alle Fragen geben.
In den Austragungsstädten sollen während der EM auch Fantreffs und Stadtführungen in Gebärdensprache angeboten werden. Eigentlich dürfte es vonseiten des DFB keine größeren Schwierigkeiten geben, die sind im Grunde offen dafür. Problematischer ist vielmehr die UEFA. Sie stellt sich gegen viele Forderungen. Dazu gehört auch die Ablehnung neulich, das Münchner Stadion beim Spiel Deutschland gegen Ungarn bunt beleuchten lassen zu dürfen. Wir werden sehen, wie weit wir kommen.

Vielen Dank für das Interview!

Quelle: https://dieneuenorm.de/sport/kakao-statt-krakauer/, gekürzt

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